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Nordkorea

Wie junge Nordkoreaner Zugang zu Musik haben

#Schritte zur Wiedervereinigung l 2023-10-25

Schritte zur Wiedervereinigung

ⓒ Getty Images Bank
“Habt Ihr einen kugelsicheren Rucksack getragen?“ Die populäre südkoreanische Boyband BTS wird in Nordkorea auch als „kugelsicherer Rucksack“ bezeichnet. Das heißt, die Frage wird als eine Art Geheimcode benutzt, der meint: „Habt Ihr BTS-Musik gehört?“ oder „Seid Ihr BTS-Fans?“. In Nordkorea ist ausländische Musik einschließlich des südkoreanischen K-Pop fast gänzlich verboten. Es gibt Berichte, wonach ein Nordkoreaner festgenommen wurde, als er einen BTS-Tanz vorgeführt habe. Südkoreanische Popkultur, Musik eingeschlossen, genießt unter jungen Erwachsenen in Nordkorea, große Beliebtheit. So sagt ein nordkoreanischer Flüchtling:

Acht von zehn jungen Nordkoreanern kennen südkoreanische Fernsehserien und Lieder. Sie haben wahrscheinlich mindestens eine oder zwei Serien gesehen und über 100 Lieder gehört. 

Nordkorea propagiert unter Machthaber Kim Jong-un die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie und ruft zur Informationskompetenz und damit zum eigenständigen Umgang mit Informationen auf. Viele junge Nordkoreaner teilen mittlerweile Medieninhalte unter Verwendung ihrer Handys oder Smartphones. Zum Thema sagt Ha Seung-hee vom Institut für Nordkorea-Studien an der Dongguk-Universität in Südkorea:

Früher gebrauchten die Menschen Kassetten oder CD-Spieler, um Musik zu hören, bevor MP3-Players erschienen. Jetzt haben die Smartphones eine Funktion für das Abspielen von Musik. Im Einklang mit den technologischen Veränderungen sind die Audiogeräte kleiner geworden, und Musik wird zunehmend personalisiert. Diese Veränderungen gibt es auch in Nordkorea. Dort machen diejenigen die neue Generation aus, die zwischen Ende der 1980er Jahre und 2000 geboren wurden oder während des sogenannten „mühsamen Marschs“, als die Einheimischen aufgrund ihrer Marktaktivitäten überlebten. Die junge Generation ist neuen Trends gegenüber sehr aufgeschlossen und bereit, Veränderungen schnell zu akzeptieren. Bei einer Umfrage sagten nordkoreanische Flüchtlinge zwischen 20 und 40 Jahren, die Musik in ihrem Heimatland hörten, nachdem Kim Jong-un an die Macht gelangt war, dass sie Musikkassetten gesehen oder davon gehört haben, diese aber kaum benutzt haben. Sie spielten meistens CD-Player ab, bevor sie auf MP3- und MP4-Geräte umstiegen. Mit anderen Worten, sie erlebten die Evolution bei den Audioformaten. 

CDs und DVDs mit Musik oder Filmmaterial in Nordkorea werden von den Unternehmen Kwangmyong Music Company oder Mokran Video produziert. Sie werden von der Koreanischen Publikationshandelsfirma verbreitet. Videos werden mit Ausnahme solcher, die von der Regierung verkauft werden, streng kontrolliert. Wie kommt dann ausländische Kultur in das abgeschottete Land? Während der ernsten Wirtschaftskrise in den 90er Jahren trieben immer mehr Nordkoreaner Handel. Über die Grenze zu China kam zugleich mehr Schmuggelware in das Land. Nach dem historischen innerkoreanischen Gipfeltreffen im Juni 2000 gab es dann einen Austausch in verschiedenen Bereichen, was den Nordkoreanern, wenn auch beschränkt, Zugriff auf südkoreanische Popkultur verschafft hat. Als Folge der Weiterentwicklung der digitalen Technologie beschleunigte sich das Einströmen ausländischer Kultur. Der Import von chinesischen DVD-Geräten sowie preisgünstigen Tabletcomputern und USB-Speichersticks verbreiteten rasch ausländische Kultur in Nordkorea:

CDs sind relativ groß und können schnell verkratzen. Im Gegensatz dazu verliehen Audiodateien im MP3-Format, die sich durch kleine Dateigröße auszeichnen, den jungen Nordkoreanern das Gefühl, eine ganz neue Welt für sich zu entdecken. Südkoreanische Songs wurden illegal in China aufgenommen oder heruntergeladen. Mittels Datenträger verbreiteten sie sich in Nordkorea über die privaten Märkte, oder Jangmadang. Eine einzelne Musikdatei enthielt verschiedene Lieder, die unterschiedliche Epochen und Genres abdeckten. 

Anders als bei MP3 können auf MP4-Dateien mehrere Inhalte auf Audio- und Videospuren abgespeichert werden. Mit dem Import von MP4-Playern konnten sich die Nordkoreaner also auch Videos anschauen. Doch diese Geräte waren sehr teuer: 

Als sich die Nordkoreaner Musik im MP3-Dateiformat anhörten, waren sie nicht wirklich an den Sängern interessiert. Als sie sich jedoch Musikvideos im MP4-Format anschauten, konnten sie die Interpreten auf dem Bildschirm sehen. Nach Angaben von Experten waren MP3-Geräte teuer, als sie in Nordkorea eingeführt wurden, und MP4-Player waren sogar noch seltener. Diejenigen, die die neuen Geräte hatten, liefen Gefahr, verfolgt zu werden. Nur eine kleine Zahl von Menschen konnte sich diese teuren Geräte anschaffen und mit ihren Freunden teilen. 

Die Einführung von Smartphones und PCs brachte auch in Nordkorea größere Veränderungen im Leben der Bewohner mit sich. Junge Leute begannen damit, Musik auf USB-Sticks und SD-Karten zu speichern und sich die Lieder auf ihren Smartphones anzuhören. 

Während früher das Band das Container-Format für einen Kassettenrekorder war, wird heutzutage eine SD-Karte in ein Smartphone eingeführt. Sie kann Musik oder andere Dateien enthalten, doch enthält sie keine Browser-Chronik. Die kleine Flash-Speicherkarte lässt sich leicht verbergen, so dass der Gebrauch von SD-Karten zunimmt. 

Auf Smartphones lässt sich Musik natürlich auch via Apps abspielen. Vor drei Jahren berichtete das nordkoreanische Propagandamedium „Meari“, dass das einheimische Hana-Musikinformationszentrum ein Karaoke-Programm namens „Emotion 1.0.“ für Handys herausgebracht habe. Die Nutzer können Lieder auswählen und darauf singen. Danach werden auf dem Bildschirm eine Punktezahl und eine Tabelle der besten Gesangsvorführungen angezeigt. Die App zeigt, dass Nordkoreaner die Musik auch in kleineren Gruppen genießen:

Wenn die Karaoke-App aktiviert ist, wird die Hintergrundmusik abgespielt, und der Liedtext erscheint auf dem Bildschirm, genau so, wie auch das Noraebang, ein Gesangsraum in Südkorea, funktioniert. Die nordkoreanische Regierung veröffentlicht Propagandastücke, die auf solchen Musikprogrammen abgespielt werden können. Sie machen die neuen Stücke über Zeitungen, Fernsehen und Radio bekannt und bewegen die Menschen dazu, sich in kleinen Gruppen zu versammeln, um die Lieder zu erlernen. Manchmal strahlt die staatliche Fernsehstation solche auf Bildschirmen basierte Musikprogramme zwischen einzelnen Shows aus. 

Wenn sie privat Musik hören, sind sich die Nordkoreaner der Kontrolle und der Zensur der Behörden bewusst. Wenn sie etwa südkoreanische Popsongs hören, benutzen sie Kopfhörer. Doch sieht man auf der Straße kaum Menschen mit Kopfhörern: 

Südkoreaner nutzen Kopfhörer, um sich von äußeren Geräuschen abzukapseln. Doch wenn Nordkoreaner auf den Straßen mit Kopfhörern gehen, sind sie Ziel der Zensur. Es ist bekannt, dass junge Leute Musik auf ihren Kopfhörern hören, wenn sie allein zuhause sind. In Nordkorea gibt es Kopfhörer, die die Bluetooth-Funktion haben. Ein nordkoreanisches Propaganda-Medium berichtete über Bluetooth-Kopfhörer, die vom Arirang-Informationstechnologie-Produkteladen angeboten wurden. Es wurden Wendungen wie „bequeme Bluetooth-Kopfhörer beim Fitnesstraining“ oder „Bluetooth-Kopfhörer mit guter Klangqualität“ gebraucht. Es wird gesagt, dass die Menschen In-Ohr-Kopfhörer nutzen, wenn sie mit dem Fahrrad oder einem Moped unterwegs sind. Für männliche nordkoreanische Studenten sind Kopfhörer eine Art Modeartikel. 

Die nordkoreanischen Behörden versuchten jedoch, das Abhören südkoreanischer Popmusik strenger zu kontrollieren. Nach einer Änderung des Strafgesetzes 2015 verhängte Nordkorea schwere Strafen gegen Menschen, die nach ihrer Meinung sogenannte dekadente kulturelle Inhalte wie etwa südkoreanische TV-Serien und Lieder aufnahmen. Machthaber Kim Jong-un wies 2017 die Sekretäre der Parteizellen an, „nicht-sozialistische Praktiken“ auszumerzen. In seiner Neujahrsansprache von 2018 rief er die Bürger auf, sich vor nicht-sozialistischen Elementen in Acht zu nehmen: 

Ein energischer Kampf sollte geführt werden, um alle Arten nicht-sozialistischer Praktiken zu eliminieren, so dass sichergestellt werden kann, dass alle Bürger mit noblen geistigen und moralischen Charakterzügen ein revolutionäres und kulturelles Leben führen. 

Nordkorea verabschiedete 2020 ein Gesetz gegen reaktionäres Gedankengut und Kultur, 2021 das Gesetz für die Garantie der Jugenderziehung und 2023 das Gesetz zum Schutz der Pjöngjanger Kultursprache. Der Zweck dieser Gesetze ist es, die Menschen im Land besser zu kontrollieren. Auch die Nutzung mobiler Geräte wurde strenger kontrolliert. Ein Flüchtling sagt:

Als ich in Nordkorea war, führte ich eine SD-Karte in mein Telefon ein, um südkoreanische Serien zu sehen. Es ist leicht, die Karte einzuführen oder rauszunehmen, um der Zensur zu entgehen. Kim Jong-un rief die Beamten auf, die SD-Karten streng zu kontrollieren, und die Behörden verschlossen sämtliche SD-Karteneingänge in den Smartphones. 

Mit der technischen Weiterentwicklung der Speichergeräte für Musik änderten sich auch die Regulierungen der nordkoreanischen Regierung, die die Kontrolle verschärfen wollte. Die Nutzer fanden jedoch Wege, diese Kontrolle zu umgehen:  

Die technologische Entwicklung veranlasste die Regierung, ihre Art der Kontrolle über Speichergeräte zu ändern, und das führte dazu, dass die Einheimischen einen Weg fanden, sich dieser Zensur zu entziehen. So installierten die Behörden zum Beispiel ein Programm, das die Browsing-Daten in einem Smartphone nachverfolgte. Durch zufällige Suche sammelten sie alle Smarthphones mit illegalen Inhalten ein. Sie änderten die Smartphones in einer Weise, dass die Speicherkarte nicht mehr gelesen werden konnte. Doch die Nutzer nahmen das nicht hin. Sie kreierten ihre eigenen Programme, die die Verlaufsdaten auf ihren Smartphones löschen können, und sie schufen neue Programme, die Inhalte von außen erkennen und das behördliche Programm, das sie blockieren soll, getäuscht wird. 

Die Washington Post zitierte 2019 in dem Artikel „Wie K-Pop junge Nordkoreaner dazu verlockt, die Linie zu übertreten“, junge nordkoreanische Flüchtlinge. Diese sagten, dass sie neue Kultur bewunderten, während sie sich K-Pop anhörten. Die Zeitung schrieb, dass der K-Pop aus Südkorea eine ähnliche Rolle für die westliche Musik gespielt habe wie die Lieder der Beatles und David Bowies während des Kalten Kriegs. Inwieweit südkoreanische Popkultur dazu beitragen kann, das Leben in Nordkorea zu verändern, bleibt abzuwarten.

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