Ich bin keine Trostfrau

24 Jahre sind nun vergangen, seitdem die verstorbene Kim Hak-soon am 14. August 1991 weltweit zum ersten Mal aussagte, Opfer der Zwangsprostitution des japanischen Militärs gewesen zu sein. Unbeirrt demonstrieren die Überlebenden seit 1992 jeden Mittwoch vor der japanischen Botschaft in Seoul und fordern die japanische Regierung zur Entschuldigung auf. Diese Demonstration gilt mittlerweile als die am längsten andauernde Versammlung der Welt. Doch statt die geforderte öffentliche Entschuldigung in Bezug auf die „Trostfrauen“-Frage vorzubringen und den Opfern eine gesetzliche Entschädigung zuzusprechen, strebt die japanische Regierung unter Premierminister Abe weiterhin eher nach einer Wiederaufrüstung des Landes.

KBS World Radio Sondersendung (1) Montag, 3. August 2015

Zweiteilige Sondersendung zum 70. Jahrestag der Befeiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft: „Ich bin keine Trostfrau“
Teil 1: Heimkehr der Seelen

Ein Mann geht durch die Reisfelder und singt dabei ein Volkslied. Auf dem Rücken trägt er seine 14jährige Tochter. Ein glücklicher Vater und seine Tochter. Es ist dies eine Szene aus dem Film „Spirits’ Homecoming,” der das Schicksal der koreanischen Zwangsprostituierten im Zweiten Weltkrieg darstellt, die von den japanischen Truppen missbraucht wurden. Die Gegend, in der diese Szene gedreht wurde, bei Seodeok in Geochang in der Provinz Süd-Gyeongsang gelegen, ist eine ruhige, friedliche, ländliche Region, wo auch ein Rundumschwenk der Kamera nichts anderes zeigt als das weite, offene Feld.

Viele Mädchen, die später zu Opfern der japanischen Zwangsprostitution wurden, erleben hier einst eine glückliche Kindheit. Kang Il-chul war das jüngste von insgesamt 12 Kindern. Sie erzählt:
Kang Il-chul: Ich komme aus Sangju in der Provinz Nord-Gyeongsang. Meine Familie hatte ein Geschäft für getrocknete Persimonen. Ich war die Jüngste in der Familie. Meine Eltern liebten mich über alles, und meine Geschwister trugen mich Huckepack. Und wenn ich die Brust meiner Mutter nicht mehr berühren durfte, weinte ich bitterlich.

Lee Yong-soo kümmerte sich wie ein Mutter um ihre beiden jüngeren Brüder. Sie war ein fröhliches Mädchen, das sehr gerne sang.

Lee Yong-soo: Ich machte gerne kleine Späße und konnte auch ganz gut singen und tanzen. Die Leute sagten, wenn ich dabei war, sei es immer lustig gewesen. Die Zwillinge habe ich aufgezogen und oftmals auf dem Rücken getragen. Sie wollten immer zu ihrer großen Schwester, nicht zu ihrer Mutter.

Kim Bok-dong hatte als junges Mädchen viele Träume und spielte gerne Verstecken und Himmel und Hölle mit ihren Freundinnen.

Kim Bok-dong: Ich habe die ganze Zeit mit meinen Freundinnen verbracht. Wir trafen uns im Dorf und spielten dort Himmel und Hölle und andere Kinderspiele. Es war eine friedliche Zeit und wir hatten keine Sorgen. Ich war nicht allein, denn ich hatte auch noch jüngere Geschwister. Ich dachte, ich müsse später nur fleißig lernen, um ein gutes Leben führen zu können.

Doch von einem Tag zum anderen verwandelte sich das Leben der Mädchen in einen Albtraum. Von den Soldaten der japanischen Armee wurden sie missbraucht und zu Zwangsprostituierten gemacht. 70 Jahre ist es nun her, dass Korea von der japanischen Zwangsherrschaft befreit wurde. Die Mädchen von damals sind nun alte Frauen. Doch der Schmerz lebt in ihnen weiter.

Lee Yong-soo: Wieso sollte ich eine Trostfrau sein? Warum sollte ich mich mit einem so schmutzigen Wort identifizieren? Ich bin keine Trostfrau. Ich bin Lee Yong-soo. Dies ist der Name, den mir meine Eltern gaben.

An einem Sonntag im Juli besuchte Filmregisseur Cho Chung-rae, nachdem er sein Filmprojekt abgeschlossen hatte, das „Haus des Teilens“, eine Unterkunft für Frauen, die ehemals als Zwangsprosituierte für die japanischen Soldaten hatten arbeiten müssen, in Gwangju in der Provinz Gyeonggi-do. Die Frauen waren die Hauptpersonen in seinem Film „Spirits’ Homecoming”. Im Jahre 1943 wurde die heute 88-jährige Kang Il-chul gewaltsam in das Soldatenbordell in Changchun, in der chineischen Provinz Jilin verschleppt, gerade einmal 16 Jahre alt. Durch sie hatte Regisseur Cho vor einigen Jahren zum ersten Mal Näheres über das schreckliche Schicksal der früheren Zwangsprostituierten erfahren.

Vor 13 Jahren hatte Cho das Haus des Teilens erstmals besucht. In der Schule hatte er schon von der Zwangsprostitution im 2. Weltkrieg gehört, doch von der Realität der Opfer wusste er nur wenig. In der Unterkunft der Frauen sah Cho ein schreckiches Gemälde. Es zeigt junge Mädchen, die in einer großen Grube bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Als er sich erkundigte, was es mit diesem Bild auf ich habe, erklärte ihm die alte Frau Kang, dass die Mädchen damals tatsächlich verbrannt worden seien und sie als einzige von ihnen wie durch ein Wunder überlebt habe.

Kang Il-chul: Ich hatte hohes Fieber und litt infolge einer Typhuserkrankung an Haarausfall. Die japanischen Truppen hatten Angst, das die Soldaten sich vielleicht anstecken könnten. Es war wirklich enorm kanpp. Ich kroch irgendwie aus der Verbrennungsgrube und ein Soldat der koreanischen Unabhängigkeitsarmee trug mich auf dem Rücken mit sich fort. Es war ein Wunder.

Wie alt waren die Mädchen in den japanischen Soldatenbordellen? Kim Bok-dong, heute 90 Jahre alt, berichtet:
Kim Bok-dong: Ich war 14 Jahre alt. Man sagte mir, ich werde in eine Fabrik für Armeeuniformen geschickt. Da habe ich mir gesagt, ein Glück, in der Fabrik werde ich wenigstens nicht sterben. Aber dann stellte sich heraus, dass ich als Zwangsprostituierte an die Front geschickt wurde, in verschiedene Regionen, nach Taiwan, Gwangdong in China, Hongkong, Malaysia, Sumatra und Java in Indonesien und nach Singapur. Ich wurde einfach wie ein Gepäckstück auf den Laster gepackt.

Yu Hee-nam, heute 87, war 15, als sie verschleppt wurde.

Yu Hee-nam: Ich komme aus der Gegend von Onyang, wo die heißen Quellen liegen. Ich habe mich zu Fuß aufgemacht, um von dort wegzukommen. 23 Kilometer hatte ich schon hinter mir, aber meine Mutter sagte, ich solle zurückkommen. Doch dann wurde ich aufgegriffen und zur Polizei gebracht. Nicht einmal die Grundschule hatte ich abgeschlossen. Von der Polizeistation wurde ich ins Ausland geschickt.

Im Film sieht man, wie die Mutter der 14-jährigen Jung-min schluchzend das Gepäck ihrer Tochter packt, die nun zum japanischen Militär gebracht werden soll. Inständig hofft sie, dass ihre Tochter heil zurückkehren möge.

Die meisten der Mädchen wurden mit falschen Versprechungen von Zuhause weggelockt. Auch Kim Bok-dong dachte, nach ihrer Arbeit in der vermeintlichen Fabrik würde sie, wenn sie alt genug sei, um zu heiraten, nach Hause zurückkehren.

Eltern konnten noch glücklich sein, überhaupt über den Plan, die Kinder fortzuschicken, informiert zu werden. Viele der Mädchen wurden einfach verschleppt, während sie im Wald Kräuter pflückten, von Brunnen Wasser holten, oder auf der Wiese spielten. Lee Yong-soo wurde mitten in der Nacht von zu Hause fortgeschleppt.

Lee Yong-soo: Eines Nachts kamen ein Soldat und ein Mädchen in unser Haus. Das Mädchen gab mir Zeichen. Ich dachte, sie mache sich über mich lustig, und so beachtete ich sie nicht weiter, sondern saß einfach weiter am Spinnrad. Dann kam sie zu mir, hielt mich an den Schultern fest und hielt mir den Mund zu. Der Soldat schlug mich mit einem Gegenstand in den Rücken und zog mich dann gewaltsam fort. Ich dachte immer noch, es sei ein Spaß. Ich wusste nicht, was da passierte. Ich habe es nie erfahren.

Lee Yong-soo wurde sofort auf einen Zug gezwungen. Es war die erste Zugreise in ihrem Leben, und es war eine lange Reise.

Lee Yong-soo: Von meinen Eltern verabschiedet? Nein, wie denn? Die haben mich mitten in der Nacht aus dem Haus gezerrt, wie hätte ich mich da von meinen Eltern verabschieden können?

Kang Il-chul erging es ganz ähnlich. Auch sie konnte sich von ihren Eltern nicht verbschieden.

Kang Il-chul: Meine Eltern wussten von allem nichts. Sie waren nicht zu Hause, als man mich mitnahm. Als ich von der Schule kam, aß ich etwas und saß dann alleine in der Wohnung. Meine Eltern wussten von nichts.

Die japanische Regierung unter Shinzo Abe behauptet, es gebe keine Beweise dafür, dass das japanische Militär oder die japanische Regierung eine derartige Zwangsprostitution angeordnet hätten. Yun Jung-ok, frühere Professorin an der Ewha Frauenuniversität und nun selbst über 90 Jahre alt, hat sich zeit ihres Lebens mit der Problematik der sogenannten „Trostfrauen” befasst. Sie zitiert aus einem Buch.

Professor Yun: Die japanische Kwantung Armee wollte 20000 koreanische Frauen als Zwangsprostituierte rekrutieren. Das ist hier ganz klar vermerkt. Hier steht, dass die Kwantung Armee den Generalgouverneur von Korea aufgefordert hat, 8000 Frauen aus Joseon als Sexsklavinnen zu schicken, um insgesamt 20000 Trostfrauen zu rekrutieren, und dass diese 8000 Frauen nach Nordost-China geschickt werden sollten.

Das Buch wurde geschrieben von Yoshimi Yoshiaki, Professor für Moderne Geschichte Japans an der Chuo University in Tokyo, und bezieht sich auf das Dokument über die Trostfrauen aus dem japanischen Kriegsministerium im Jahre 1938. Der Professor veröffentlichte dieses Dokument im Jahre 1993, was in erheblichem Maße zur Kono-Erklärung beitrug, in der die japanische Regierung die Beteiligung des japanischen Militärs an der Zwangsrekrutierung der Prostituierten offiziell einräumte.

Die Mädchen kamen auf Lastwagen, auf Schiffe und auf Eisenbahnzüge. So gelangten sie in unbekannte Gegenden in irgendwelche Militäreinheiten. Was sie erwartete, ist kaum angemessen in Worten wiederzugeben. Unter dem Vorwand medizinischer Untersuchungen hatten sie sich auszuziehen und wurden dann vergewaltigt. Kim Hak-sun, die mittlerweile nicht mehr lebt, erinnerte sich unter Tränen an die Erniedrigung. Im Jahre 1991 war sie die erste der koreanischen Zwangsprostituierten, die es wagte, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Kim Hak-sun: Ich war gerade einmal 17, als mich ein japanischer Soldat an sich riss und vergewaltigte. All meine Schreie waren umsonst. Ich versuchte zu fliehen, aber der Soldat, dieses Schwein, hielt mich fest und ließ mich nicht los. Ich weinte die ganze Zeit. Es war zu schmerzhaft, um in Worte gefasst werden zu können.

Lee Yong-soo, die es wagte, Widerstand zu leisten, wurde mit Elektroschocks gefoltert. Auch heute noch zittert sie beim Anblick der eigenen Narben.

Lee Yong-soo: Es war so schrecklich, dass allein der Gedanke daran unerträglich ist. Ich wurde mit Elektroschocks gefoltert, weil ich weigerte, zu dem Soldaten ins Zimmer zu gehen. Ich erinnere mich noch an das eigenartige Geräusch. Ich weiß nicht, ob es aus meinem Kopf oder meinen Ohren kam. Ich habe heute noch eine Narbe am Bauch. Aber damals dachte ich, warum sollte ich zu dem Soldaten ins Zimmer?

Aso Tetsuo war Militärarzt, der seinerzeit Geschlechtskrankheiten in den Militärbordellen untersuchte. Er schreib in seinen Aufzeichnungen: „Die Frauen aus Joseon sind die größten Geschenke des Kaisers an seine Soldaten.“ Die Formulierungen in seinen Aufzeichnungen deuten daraufhin, dass es sich bei den Opfern weitgehend um sexuell unberührte junge Mädchen handelte. Die Militärbordelle wurden streng verwaltet, auch die Quote zwischen Soldaten und Frauen war reguliert. Kim Bok-dong berichtet.

Kim Bok-dong: An Samstagen kamen die Soldaten von 12 bis 17 Uhr, an Sonntagen von 8 bis 17 Uhr. Wenn am Abend alles vorbei war, konnte ich kaum noch stehen. Meine Glieder waren geschwollen und ich bekam Medizin, damit ich am nächsten Wochenende wiede bereit war.

Viele der Mädchen, die in die Bordelle geschleppt wurden, waren minderjährig, und viele hatten noch nicht einmal ihre erste Periode gehabt. So auch Jung-min, die Protagonistin des Films „Sprits’ Homecoming”. Schauspielerin Oh Ji-hye spricht über die verstörendsten Szenen des Films.

Oh Ji-hye: Unter den verschleppten Mädchen hatten manche noch nicht einmal ihre Regel. In einer tragischen Szene des Films bekommt das Mädchen seine Regel, während es vergewaltigt wird. Sie schläft auf dem Bett ein und träumt. Sie wacht auf, weiß aber nicht, ob sie wach ist, oder es nicht doch alles nur ein Traum ist.

In der Rolle als Jung-mins Mutter, die ihrer Tochter Binden aus Stof mit auf den Weg gibt, spürte Schauspielerin Oh ein tiefes Mitgefühl.

Oh Ji-hye: Die Mutter macht Binden aus Stoff für ihre Tochter. Während sie näht, sagt sie: „Mein Mädchen ist so schnell groß geworden. Ich gratuliere dir, mein Liebling. Nun bist du erwachsen.” Die Tochter ruft nach ihrer Mutter. Da wacht sie plötzlich auf. Sie begreift, dass alles nur ein Traum war. Und vielleicht wünscht sie sich den Tod. Ich hatte so tiefes Mitgefühl mit dem armen Kind.

Wenn die Mädchen ganz normal aufgewachsen wären, wäre der Eintritt ins Erwachsenenalter eigentlich ein Anlass zum Feiern gewesen. Doch die Realität sah anders aus. Grausam und tränenreich.

Als sich abzeichnete, dass der Krieg im Pazifik sich dem Ende neigen und nicht im Interesse Japans ausgehen würde, begannen die Japaner, Beweise zu vernichten. Die Bordelle und wichtige Dokumente wurden verbrannt, und viele der Mädchen getötet. Im Film können Jung-min und ihre Freundin Young-hee mit Glück entkommen. Doch Jung-min wird auf der Flucht erschossen und stirbt in Young-hees Armen. Wie viele Mädchen mögen wohl auf diese oder ähnliche Weise den Tod gefunden haben? Und wie viele Freundinnen mussten einander wohl zurücklassen?

Japan verlor den Krieg und Kim Bok-dong entkam knapp dem Tod. Beim Gedanken an ihre geraubte Jugend fühlt sie Verbitterung.

Kim Bok-dong: Acht lange Jahre. Damals habe ich sogar mein Zeitgefühl verloren. Als der Krieg vorbei war, befand ich mich im US-Camp in Singapur. Man fand heraus, dass die anderen Frauen und ich aus Korea kamen. Man sagte uns, wir sollten auf ein Schiff warten. Als es endlich kam, stiegen 3000 Flüchtlinge ein. Erst da wurde mir bewusst, dass ich inzwischen 22 Jahre alt war.

Auch Yu Hee-nam kam auf das Schiff, das nach Korea fuhr. Doch konnte sie sich nicht dazu durchringen, nach Hause zurückzukehren.

Yu Hee-nam: Natürlich hatte ich zu Hause meine Familie. Aber ich konnte nicht zurück. Die Scham war zu groß. Als Frau hatten wir seit jeher bestimmte Dinge in Ehren zu halten. Ich war einfach nur am Leben und zog von Ort zu Ort. Ich hätte über diese Scham nicht sprechen können. Ich schämte mich zu sehr, um nach Hause zurückzukehren.

Manche der Frauen nahmen sich das Leben, den Heimatort nur wenige Kilometer entfernt. Zu groß war die Scham, als geschändete Frau heimzukehren. Und diejenigen, die nach Hause zurückkehrten, kehrten nicht in das Zuhause zurück, das sie so vermisst hatten. Die Heimat ihrer Kindheit war verschwunden. Lee Yong-soo erinnert sich:

Lee Yong-soo: Als ich heimkam, erfuhr ich, dass meine Eltern und meine jüngeren Geschwister alle tot waren. Nur meine beiden Zwillingsbrüder lebten noch.

Die Mutter von Kim Bok-dong sah ihre Tochter nach acht Jahren zum ersten Mal wieder. Erst konnte sie nicht glauben, was ihre Tochter ihr erzählte. Es war einfach zu unfassbar. Kim Bok-dong fühlte sich schuldig dafür, lebend nach Hause zurückgekehrt zu sein. Die schreckliche Zeit verfolgte sie weiterhin, und sie litt unter furchtbaren Albträumen.

Kim Bok-dong: Ich war die einzige von denen an der Front, die überlebt hatte. Meine Mutter versorgte mich ein jahr lang mit medikamenten, damit ich mich erholen könne. Oft konnte ich nicht schlafen. Und wenn ich aus dem Schlaf erwachte, fragte ich mich, warum ich denn überhaupt noch da sei. In meinem eigenen Haus fühlte ich mich fremd. Überhaupt am Leben zu sein, war ein Wunder.

Kim Hak-sun: Sie nehmen die leidenden Opfer überhaupt nicht wahr. Japan behauptet, dass diese Frauen nie existiert hätten. Es ist unsäglich. Ich wollte, ich könnte meiner Wut wenigstens mit Worten Ausdruck verleihen, bevor ich sterbe.

Die älteren der Opfer hatten Angst, öffentlich über ihre Erlebnisse zu sprechen. Doch nachdem Kim Hak-sun 1991 als Erste mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit ging, waren viele ermutigt.

Kim Hak-sun: Ich habe allein gelebt und abends immer ferngeshen. Eines Tages sah ich dort Leute, die sagten, sie hätten nie von den Trostfrauen gehört. Ein Japaner meinte sogar, diese Frauen gebe es gar nicht, beziehungsweise, es seien die Koreaner gewesen, die die Frauen versklavt hätten. Ich war erschüttert. Eigentlich habe ich immer überlegt, ob ich nicht eines Tages darüber sprechen sollte. Es war einfach so frustrierend zu hören, dass manche Menschen einfach nichts von unserem Schicksal wussten. Und dass Japan alles abstreitet, obwohl es noch immer Zeugen wie mich gibt. Ich war schockiert und brach in Tränen aus. Und so entschloss ich mich, anzufangen, über diese Dinge zu sprechen. Kim Hak-sun war 16, als sie von den Japanern verschleppt wurde. 51 Jahre später, mit 67, brach sie ihr Schweigen und ermutigte so auch andere Frauen, das Wort zu ergreifen. Am 25. Februar 1992 wurde ein Dokumentationszentrum für frühere Zwangsprostituierte eingerichtet. Doch nur 238 ältere Frauen gaben an, früher als Trostfrauen missbraucht worden zu sein. Viele andere waren bereits tot. Aber viele schwiegen auch, weil sie es für sie zu schmerzvoll gewesen ware, über ihre grausame Vergangenheit nun auch noch öffentlich sprechen zu müssen. Kim Bok-dong war fest entschlossen, mutig die Wahrheit zu sagen, doch dann merkte sie, wie schwer dies tatsächlich war.

Kim Bok-dong: Ich war am Anfang beinahe stumm. Ich konnte noch nie gut vor Leuten sprechen, doch vor allem schämte ich mich zutiefst. Ich hatte das Gefühl, dass ich das nüchtern gar nicht schaffen würde und trank daher vorher ein wenig, um meine Zunge zu lockern. Aber während ich sprach, weinte ich die ganze Zeit. Ich fragte mich, warum ich eigentlich über all diese Dinge sprechen musste.

Nach Kim Hak-suns Zeugenbericht gingen nach und nach auch andere Frauen mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit. Auch wurden Dokumente der japanischen Regierung veröffentlich, die ihre Aussagen stützten. Noch im Juli 1992 sagte der damalige Chefsekretär des japanischen Kabinetts Koichi Kato, es habe keine Zwangsprostitution stattgefunden. Doch im August des folgenden Jahres gab der neue Kabinettschefsekretär Yohei Kono eine Erklärung ab, in der die Zwangsrekrutierung der sogenannten Trostfrauen durch die japanischen Truppen eingeräumt wurde.

Yoon Mi-hyang: In der Kono-Erklärung hieß es, dass die japanischen Truppen in den Transport der Trostfrauen involviert gewesen sei und die Frauen gegen ihren Willen rekrutiert worden seien. Doch die Erklärung gibt nicht die ganze Wahrheit wieder. Es heißt, die Frauen seien hauptsächlich auf Anfrage des Militärs von privaten Vermittlern rekrutiert worden. Das klingt so, als hätten letztlich diese privaten Vermittler die entschiedende Rolle gespielt. Die japanische Regierung leugnet also immer noch ihre rechtliche Verantwortung.

Japan beruft sich darauf, seinen rechtlichen Verpflichtungen mit dem koreanisch-japanischen Vertrag von 1965 nachgekommen zu sein. Ahn Shin-gwon, Leiter des Hauses des Teilens erklärt:

Ahn Shin-gwon: Tokio behauptet, die Angelegenheiten bezüglich seiner Kolonialherrschaft seien 1965 geklärt worden. Der Korea-Japan-Vertrag regelt aber nur besitzrechtliche Fragen. Er schließt nicht das Recht auf Entschädigungen für die Opfer von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.

Internationale Organisationen haben vielfach Berichte vorgelegt, die darauf hinweisen, dass der Vertrag keine Entschädigungen für die Zwangsprostituierten vorsieht. Derweil streicht Tokio Passagen zu den Zwangsprostituierten aus den Geschichtsbüchern und Extremisten in Japan nennen die Opfer in Korea „freiwillige Prostituierte“. Die Opfer werden durch diese schändlichen Behauptungen ein zweites Mal getötet.

Wartet die japanische Regierung einfach darauf, dass die letzten Opfer, die letzten Zeugen einfach irgendwann sterben? Kazue Nagahama aus Japan, 72 Jahre alt, hat in den letzten 10 Jahren im Haus des Teilens Freiwilligendienste geleistet. Wenn sie die alten Frauen dort sieht, die schwächer und schwächer werden, wird ihr schwer ums Herz.

Kazue Nagahama: Die Frauen hier verlieren immer mehr ihre Kraft. In den letzten 10 Jahren habe ich miterlebt, wie fünf der Frauen hier gestorben sind. Wenn ich hier die Rollstühle schiebe und mich um die Frauen kümmere, bin ich sehr betrübt.

Es ist ungewiss, wie lange die alten Frauen noch leben werden. Lee Yong-soo hat das Gefühl, dass ihr nun die Zeit ausgeht.

Lee Yong-soo: Ich fühle mich unter Druck. Meine alten Freunde sterben nach und nach. Ich war so frustriert, dass ich in den USA einmal gesagt habe, dass ich aus Trotz bestimmt 200 Jahre leben werde. Ich versuche, nicht krank zu werden. Ich stehe früh auf, mache mein Haar und nehme meine Medizin. Mein Leben war geprägt von Mattigkeit, Härte und Bedauern.

Am 4. März fand vor der japanischen Botschaft in Seoul der sogenannte Mittwochsmarsch statt, bei kaltem windigem Wetter. Seit dem 8. Januar 1992 findet er dort jeden Mittwoch statt, diesmal war es die 1168. Auflage. Das Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet die Veranstaltung als die längste Demonstration zu einem bestimmten Thema. Die alten Frauen, die teilnehmen, können teilweise kaum noch gehen. Doch ihre Stimmen klingen laut. „Fest wie ein Felsen, nicht gebeugt durch Verzweiflung” lautet der Liedtext. Wo nehmen die alten Frauen ihre Kraft her?

Lee Yong-soo: Ich möchte Japan besiegen, bevor ich sterbe. Dann kann ich den anderen Opfern im Himmel davon berichten. Wenn ich es nicht schaffe, was soll ich ihnen dann sagen?

Lee Yong-soo sagt, sie werde 200 Jahre lang leben, um schließlich eine offizielle Entschuldigung von Seiten Japans zu bekommen. Nur dann könne sie ihre Schuldgefühle darüber, überlebt zu haben, überwinden und in Frieden sterben.

Es macht einen Unterschied, ob man die Geschichte aus Aufzeichnungen erfährt, oder aus den Berichten von Zeitzeugen. Mitte der 90er Jahre dokumentierte der japanische Journalist Doi Toshikuni zwei Jahre lang Leben und Tod sechs ehemaliger Opfer der Zwangsprostitution. Er betont die Bedeutung des Themas:

Doi Toshikuni: Es gibt Frauen, die enormes Leid erlitten haben und deren gesamtes Leben zerstört wurde. Dies ist der Kern der Trostfrauen-Frage. Jede einzelne dieser Frauen wurde ihrer Würde beraubt, die ihnen sonst einnormales Leben ermöglicht hätte. Und all die Jahre wurden sie gequält durch die schrecklichen Erinnerungen.

Yun Jeong-ok: In der Nähe von Dongying in Südchina lebte eine alte Frau. Sie ergriff schluchzend unsere Hände. Aber sie konnte nicht mit uns kommunizieren, denn sie hatte ihre Muttersprache vergessen. Wir sangen ihr das Arirang vor. Da begann die alte Frau mitzusingen. Wir alle mussten weinen.

Die Sklaverei der Japaner im 2. Weltkrieg zerstörte das Leben Tausender junger Mädchen. Es sollte uns stets im Bewusstsein bleiben, wozu Menschen fähig sind. Auf dass die Seelen jener Mädchen, die brutal verschleppt und missbraucht wurden und irgendwo fern der Heimat ihr Leben lassen mussten, heimkehren und ihren Frieden finden mögen.

Teaser zum Film Heimkehr der Seelen
„Im Jahr 2015 kehren die Seelen kleiner Mädchen, die in fremden Ländern umherirren,
in ihre Heimat zurück.“