70 Jahre Unabhängigkeit, 30 Jahre Zukunft
„Der Weg zur Versöhnung
und Zusammenarbeit“
Die Aufklärung der Geschichte ist der Schlüssel zum Frieden und zum Wohlstand Nordostasiens.
24 Jahre sind nun vergangen, seitdem die verstorbene Kim Hak-soon am 14. August 1991 weltweit zum ersten Mal aussagte, Opfer der Zwangsprostitution des japanischen Militärs gewesen zu sein. Unbeirrt demonstrieren die Überlebenden seit 1992 jeden Mittwoch vor der japanischen Botschaft in Seoul und fordern die japanische Regierung zur Entschuldigung auf. Diese Demonstration gilt mittlerweile als die am längsten andauernde Versammlung der Welt. Doch statt die geforderte öffentliche Entschuldigung in Bezug auf die „Trostfrauen“-Frage vorzubringen und den Opfern eine gesetzliche Entschädigung zuzusprechen, strebt die japanische Regierung unter Premierminister Abe weiterhin eher nach einer Wiederaufrüstung des Landes.
Vor der Mädchenstatue zum Gedenken an die Opfer der japanischen Zwangsprostitution im Palisades Park, New Jersey, USA
Regisseur Cho Jung-Rae / Maler Steve Cavallo, Hauptorganisator bei der Errichtung des Denkmals im Palisades Park / Schauspielerin Seo Mi-ji / Baek Young-hyun, Präsident des 1492 Green Clubs
Regisseur Cho Jung-Rae / Schauspielerin Seo Mi-ji / Lee Cheol-woo, Präsident des Koreanisch-Amerikanischen Komitees für öffentliche Angelegenheiten, der eine führende Rolle bei der Errichtung des Mahnmals für Opfer der japanischen Zwangsprostitution im Eisenhower Park im Bundesstaat New York innehatte
Denkmal für Opfer der japanischen Zwangsprostitution auf dem Grundstück des Regierungsgebäudes von Fairfax County in Virginia
Redakteur der Sondersendung von KBS WORLD Radio Yoo Kwan-mo / Mike Honda, Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus, der im Abgeordnetenhaus die Resolution in Bezug auf die japanische Zwangsprostitution durchsetzte / Schauspielerin Seo Mi-ji / Regisseur Cho Jung-Rae
Alexis Dudden, Professorin an der University of Connecticut, die bei der gemeinsamen Erklärung von Historikern weltweit gegen die Geschichtsklitterung Japans federführend war
Han Ji-soo, Präsident von Media Joha, der die englische Übersetzung von Können Sie uns hören?: Unerzählte Geschichten der ehemaligen Zwangsprostituierten (Can You Hear Us?: The Untold Narratives of Comfort Women) , eine Sammlung von Erzählungen der Opfer der japanischen Zwangsprostitution, an US-amerikanische Bürger kostenlos verteilt
Kim Dong-seok, leitender Direktor der Organisation Koreanisch-Amerikanische Bürgerermächtigung (KACE), der die Anhörung organisierte und zur Annahme der Resolution im US-Repräsentantenhaus beitrug
Regisseur Kim Hyun-jun und seine Mitarbeiter bei den Proben des Off-Broadway-Musicals Comfort Women
Probebühne des Off-Broadway-Musicals Comfort Women
Werbeplakat des Off-Broadway-Musicals Comfort Women
Asano Kenichi, Vorsitzender der japanischen Friedensorganisation Unit 9
Japanische Friedensaktivistengruppe Unit 9, die an dem Tag die Mittwochsdemonstration organisierte
Informationsschild zur 13. Asiatischen Solidaritäts-Konferenz
Die ehemaligen Zwangsprostituierten Gil Won-ok, Kim Bok-dong und Lee Yong-soo auf der 13. Asiatischen Solidaritätskonferenz
Kim Bok-dong, Opfer der japanischen Zwangsprostitution, bei ihrer Zeugenaussage auf der 13. Asiatischen Solidaritätskonferenz
Fedencia David, Opfer der japanischen Zwangsprostitution, bei ihrem Zeugenbericht auf der 13. Asiatischen Solidaritätskonferenz
Vortrag zur Lösung der „Trostfrauen"-Problematik auf der 13. Asiatischen Solidaritätskonferenz
Konzert Pyeonghwa Nabi (auf Deutsch „Friedensschmetterling"), eine Veranstaltung der Studentenorganisation Pyeonghwa Nabi zur Lösung der „Trostfrauen"-Frage
Freiwillige Studentenhelfer beim Pyeonghwa Nabi-Konzert
KBS World Radio Sondersendung (2) Montag, 4. August 2015
Zweiteilige Sondersendung zum 70. Jahrestag der Befreiung Koreas von der japanischen Kolonialherrschaft: „Ich bin keine Trostfrau“
Teil 1: Frieden
Am 28. Juli fand im US-Kongress von Washington eine besondere Zeremonie statt, in der der achte Jahrestag einer Resolution in bezug auf die sogenannten Trostfrauen, die Zwangsprostituierten der japanischen Armee im 2. Weltkrieg, begangen wurde. Auf dieser Veranstaltung, an der etwa 100 Personen teilnahmen, darunter etliche Mitgleider des amerikanischen Kongresses, stellte Regisseur Cho Jung-rae Ausschnitte aus seinem Film „Spirits’ Homecoming” vor. Kongressmitglied Mike Honda, der Cho zu dieser Veranstaltung eingeladen und den Film bereits in voller Länge gesehen hatte, meint:
Mike Honda: Es ist ein sehr kraftvoller Film. Ich habe den Regisseur und die Schuaspieler getroffen. Am New Yorker Broadway gibt es auch ein Musical mit dem Titel „Die Trostfrauen“. Es ist ein großer Erfolg. So muss die Geschichte der Trostfrauen verbreitet warden, über die Medien. Es muss Druck auf den japanischen Premierminister Abe ausgeübt werden, damit er sich eines Besseren besinnt. Seine Haltung ist entscheidend, damit diese Sache in Ordnung gebracht werden kann.
Die sogenannte Trostfrauenfrage ist nicht mehr nur eine Angelegenheit zwischen Korea und Japan, sondern eine Frage, die weltweite Aufmerksamkeit verlangt, wenn die Würde der Opfer wieder hergestellt und für die Zukunft ein würdiger Maßstab für den Umgang mit der Vergangenheit aufgestellt werden soll.
Am 4. Juli 2015, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, betrat Regisseur Cho zum ersten Mal in seinem Leben amerikanischen Boden. Begleitet wurde er von Schauspielerin Seo Mi-ji, die im Film „Spirits’ Homecoming” die Rolle des Mädchens Young-hee spielte. Erste Station des Aufenthaltes war die Ortschaft Palisades Park in New Jersey, wo am 23. Oktober 2010 auf dem Grund der städtischen Bibliothek ein Mahnmal in Gedenken an die Zwangsprostituierten der japanischen Truppen im 2. Weltkrieg eingeweiht wurde. Vor dem Mahnmal verbeugen sich die Besucher.
Es ist dies das erste Mahnmal, das den sogenannten Trostfrauen gewidmet ist. Bürgermeister James Rotundo erklärt, dass das Mahnmal auch noch eine andere Bedeutung trägt.
James Rotundo: Es ist das einzige Mahnmal hier, das nicht irgendjemandem aus unserer Stadt gewidmet ist. Manche der hiesigen Einwohner hatten deshalb Bedenken, aber als ich ihnen klarmachte, dass dies nicht nur eine Frage des Menschenrechts, sondern auch eine Geschichte ist, die unbedingt erzählt werden muss, damit die Dinge, die damals im Krieg passiert sind, sich niemals mehr wiederholen, fand ich breite Unterstützung für das Projekt.
Das Mahnmal trägt folgende Inschrift: In Gedenken an die mehr als 200000 Frauen und Mädchen, die von den bewaffneten Kräften der Regierung des Kaiserreiches Japan in den 1930er Jahren bis 1945 entführt worden sind und nun als „Trostfrauen“ bekannt sind. Sie erlitten Menschenrechtsverletzungen, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Lasst uns die schrecklichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals vergessen.
Auf der Gedenktafel sieht man das Bild eines Mädchens, tief zusammen gekauert, den Rücken einem japanischen Soldateen zugewandt, der in einer erniedrigenden Weise die Hand ausstreckt. Der Entwurf für die bronzene Gedenktafel auf Stein stammt von Steve Cavallo, dem damaligen künstlerischen Leiter der Bibliothek. Manch einer der Besucher fragt sich, warum ein amerikanischer Künstler das Mahnmal für die Zwangsprostituierten entworfen hat.
Steve Cavallo: ich konnte zunächst überhaupt nicht glauben, dass so etwas passiert sein sollte. Im Geschichtsunterricht hatten wir nie etwas darüber gehört. Ich hörte zum ersten Mal in den 90er Jahren von den Trostfrauen, und erst 10 Jahre später begann ich zu malen. Die Sache hat mich immer begleitet, sie ging mir nie aus dem Kopf. Es gibt Dinge, die man irgendwo hört, vielleicht vor 20 Jahren in den Nachrichten, die einen nie mehr loslassen.
In einem Nebenraum der Gedenkstätte sind 20 Gemälde Cavallos ausgestellt. Besonders eines davon bleibt dem Betrachter im Gedächtnis. Es zeigt eine Frau, die auf der Erde hockt und Gras pflückt. Hinter ihr stehen Soldaten Schlange vor einem Bordell.
Steve Cavallo: Es ist eines der älteren Bilder aus dem Jahre 2009. Eine Frau, die diese Dinge erlebt hat, berichtete einmal, sie habe morgens Gras gepflückt und sich dieses in die Nasenlöcher gestopft, um den Gestank der Soldaten, die sich anschließend an ihr vergehen würden, nicht ertragen zu müssen. Wenn man diese Worte hört, bekommt man einen Eindruck davon, was diese Frauen damals ertragen mussten.
Schauspielerin Seo Mi-ji sagt, sie fühle sich durch das Bild an Boon-sook erinnert, eine der Figuren im Film.
Seo Mi-ji: Boon-sook ist in dem Film eine sehr starke Frau, die die jüngeren Mädchen tröstet. Aber wenn die anderen Mädchen nicht in der Nähe sind, stopft sie sich Gras in die Nase, weil sie den Geruch der Soldaten nicht erträgt. Ich stelle mir vor, wie sehr sie versucht hat, sich so rein wie möglich zu halten vom Gefühl der Demütigung und der Schande.
Die 21-jährige Boon-sook ist für die anderen Mädchen wie eine große Schwester. Um die anderen Mädchen zu schützen, schmeißt sie sich sogar an einen der japanischen Soldaten heran. Vielleicht ist sie es, die auf dem Gemälde Cavallos zu sehen ist. Als das Mahnmal eingerichtet wurde, sorgte dies für einiges Aufsehen. Zwei Jahre nach der Einweihung kam der japanische Generalkonsul aus New York, um Bürgermeister Rotundo zu treffen.
Rotundo: Der Generalkonsul meinte, er würde gerne gemeinsame Projekte angehen, Bücher für die Bibiothek stiften, oder japanische Kirschbäume in der Stadt pflanzen, um kulturelle Gemeinsamkeiten zu betonen, und ich sagte, ich sei einverstanden. Doch dann meinte er, er habe eine Bitte. Ob wir das Mahnmal beseitigen könnten. Da habe ich ihm gesagt, dazu werde es nicht kommen.
Nach dem Besuch des Konsuls präsentierten Mitglieder des japanischen Parlaments auch eine von japanischen Bürgern unterzeichnete Petition, die die Beseitigung des Mahnmals forderte. Die Petition wurde sogar dem Weißen Haus vorgelegt, was jedoch folgenlos blieb. Die Kontroverse um das Mahnmal hatte lediglich den Effekt, dass das Schicksal der Trostfrauen in der amerikanischen Öffentlichkeit etwas größere Beachtung fand. Han Ji-soo, Vorsitzender von Media Joha, einem koreanisch-amerikanischen sozialen Unternehmen in New Jersey, begann sich für die Geschichte der Zwangsprostituierten zu interessieren, öffnete ein Cybermuseum für Geschichte und veröffentlichte ein Textbuch, in denen Augenzeugenberichte der damaligen Opfer enthalten waren. Es trägt den Titel “Can you Hear Us? The Untold Narrative of Comfort Women” und wurde kostenlos an Politiker, Historiker, Bibliotheken und Allgemeinbürger verteilt.
Han Ji-soo: Anfangs sträubten sich die Leute, sich mit dem Thema der Trostfrauen zu befassen. Aber dann wurde das Thema im Rahmen der US-Menschenrechte immer starker wahrgenommen und immer mehr Politiker hier nahmen davon Kenntnis. Ich glaube, etwa 90 Proznet der Politiker, die ich kontaktiert habe, waren bereit, das Buch anzunehmen. Auch von Seiten der Historiker zeigte man sich interessiert. In den Bibliotheken, besonders in den größeren Bibliotheken, war es schwieriger. Ich dachte aber, das Buch sollte zunächst Leuten in Politik, Wirtschaft und Kultur zugänglich gemacht werden, und tatsächlich waren die meisten von ihnen sehr beeindruckt
Nach der Errichtung der Gedenkstätte in Palisades Park in New Jersey wurden ähnliche Gedenkstätten auch in anderen Teilen der USA eingerichtet. Eine Gedenkstätte einzurichten ist aufgrund bürokratischer Hindernisse in den USA gar nicht so einfach. Eine wichtige Rolle spielte die Resolution zu den Trostfrauen, angenommen von US-Repräsentantenhaus am 30. Juli 2007. Die Resolution fordert die japanische Regierung auf, den Tatbestand der offiziell angeordneten Zwangsrekrutierung der Prostituierten während des 2. Weltkrieges anzuerkennen, sich offiziell zu entschuldigen, die Opfer zu entschädigen und jetzige und künftige Generationen aufzuklären, damit ein solches Verbrechen zu wieder geschehen kann.
Regisseur Cho Jung-rae und Schauspielerin Seo Mi-ji fahren weiter nach Washington D.C., um dort den Kongressabgeordneten Mike Honda zu treffen, der sich nachdrücklich für die Resolution eingesetzt hatte. Honda empfängt die Besucher aus Korea mit herzlichen Worten. Doch sein Gesicht verfinstert sich, wenn er im Interview auf das Thema der früheren Zwangsprostituierten zu sprechen kommt.
Mike Honda: Ich bin der Auffassung, dass die japanische Regierung über das Militär in den 30er Jahren und im 2. Weltkrieg ein System eingerichtet hat, das die Verschleppung und den Missbrauch von Mädchen durch die Soldaten vorsah. Bei dem Begriff „Trostfrauen“ handelt es sich um einen Euphemismus, nicht um eine angemessene Bezeichnung. Anstelle von Wi-an-bu(위안부), „Trostfrau“, sollte man meiner Ansicht nach eigentlich von Seong-No-Ye(성노예), „sexuellen Sklavinnen“ sprechen.
Mike Honda nimmt an dem Schicksal der Opfer großen Anteil. Die Frauen, die so Schlimmes durchgemacht haben, sind für ihn, so sagt er, wie Schwestern.
Mike Honda: Wir begrüßen unsere Schwester aus Südkorea, die heute zu uns gekommen ist, um zu sehen, wie Premierminister Abe das Privileg genießen wird, sich an die Kongressversammlung zu wenden. So hat er heute die wunderbare Gelegenheit, der Welt gegenüber und unserer Schwester gegenüber eine Entschuldigung auszusprechen.
Im April dieses Jahres fuhr Lee Yong-soo, ein Opfer der japanischen Zwangsprostitution, in die USA, um zu erleben, wie der japanische Premierminister Shinzo Abe seine Rede vor dem Kongress hielt. Der Abgeordnete Honda forderte Abe auf, sich für die Untaten Japans im 2. Weltkrieg zu entschuldigen.
Die Resolution zur Trostfrauenfrage wurde bereits 1997 im US-Respräsentatenhaus vorgebracht. Aber Japans Lobbyarbeit sorgte dafür, dass sie in den folgenden 10 Jahren nie zur Abstimmung gelangte. Dass sie schließlich doch angenommen wurde, ist der hartnäckigen Initiative von Amerikanern koreanischer Abstammung zu verdanken, die eine Anhörung im Kongress durchsetzen konnten.
Jan Ruff O'Herne: Ich habe den Japanern das, was sie mir angetan haben vergeben, doch vergessen werde ich es nie. Aber Japan hat seiner Entschuldigung nie Taten folgen lassen.
Am 15. Februar 2007 sagte Jan Ruff O'Herne, ein niederländisches Opfer der japanischen Zwangsprostitution vor einem Subkomitee des Repräsentantenhauses aus, gemeinsam mit den Koreanerinnen Lee Yong-soo and Kim Gun-ja. Kim Dong-seok, der Vorsitzende des Komitees der New Yorker Korean American Civic Empowerment, erinnert sich.
Kim Dong-seok: Wir brachten die alte Dame zur Anhörung im Kongress. Ihr Auftritt war von großer Bedeutung. Die Anhörung spielte eine entscheidende Rolle, insofern als so auch die amerikanischen Massenmedien aufmerksam wurden.
Die Medien spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, breite Aufmerksamkeit auf das Schicksal der ehemaligen Trostfrauen zu lenken. Auch der Spielfilm „Spirits’ Homecoming” trägt dazu bei. Mike Honda schildert seinen Eindruck nach dem Film.
Mike Honda: Der Film ist wirklich nicht einfach zu sehen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass er nicht nur von Leuten in Korea gesehen wird, sondern vor allem auch in Japan. Der Text sollte ins Japanische übersetzt werden. Der Film könnte so eine besonders große Kraft entfalten.
Nächste Station der Reise von Regisseur Cho war Connecticut. Professor Dudden unterrichtet dort an der University of Connecticut Geschichte Nordostasiens. Vom Schicksal der Zwangsprostituierten erfuhr sie 1991 durch den Augenzeugenbericht der inzwischen verstorbenen Kim Hak-sun. Sie begann, sich intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und meint heute, kein Schriftdokument könne in angemessener Form vermitteln, was jene Frauen damals durchgemacht haben. Im März dieses Jahres veröffentlichte sie gemeinsam mit 19 weiteren amerikanischen Wissenschaftlern in der offiziellen Zeitschrift der American Historical Association eine Erklärung, die den Versuch der japanischen Regierung unter Shinzo Abe, die Geschichtsschreibung zu verfälschen, kritisiert.
Professor Dudden: Es war abzusehen, dass die japanische Regierung versuchen würde, ein amerikanisches Lehrbuch zu zensieren und mit japanischen Steuergeldern über das seine Diplomaten in New York in den Verlag zu schicken, um für die Streichung bestimmter Passagen zu sorgen. Daher haben eine Reihe von uns Historikern, die wir in verschiedenen Ländern tätig sind, zu dem Standpunkt gelangt, dass dies nicht hinnahmbar ist und eine Erklärung verfasst, die auch von unseren Kollegen in Japan unterstützt wurde, die für eine unzensierte Geschichtsschreibung eintreten.
In dem Geschichtsbuch wird darauf hingewiesen, dass das japanische Militär rund 200000 Frauen als Prostituierte zwangsrekrutiert hat. Diese Passage wollte die Regierung in Tokio aus dem Buch entfernt wissen.
Professor Dudden: Nach dem Motto „Es steht nichts davon da, also ist es nicht passiert.“ Aber so funktioniert Geschichte nicht. Man kann nicht etwas ausradieren, von dem alle bereits wissen, dass es passiert ist.
Im Mai unterzeichnete eine Gruppe von 187 international anerkannten Historikern aus dem Bereich der Japanologie eine gemeinsame Erklärung, in der die Geschichtswahrnehmung des japanischen Premiers Shinzo Abe kritisiert wird. Inzwischen haben rund 500 Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus 16 verschiedenen Ländern die Erklärung unterzeichnet.
Am 29. April 2015 sprach Shinzo Abe als erster japanischer Premier überhaupt vor der gemeinsamen Versammlung des US-Senats und des Kongresses.
Shinzo Abe: Mit tiefem Respekt spreche ich hier mein immerwährendes Beileid aus... Japans Handlungen haben Leid über die Menschen in den asiatischen Ländern gebracht.
Die 200000 unschuldigen Mädchen, die von den Japanern versklavt wurden, fanden auch diesmal keine Erwähnung. Lee Yong-soo, die der Rede gelauscht hat, ist frustriert.
Lee Yong-soo: Das geht einfach nicht. Sieh mir doch in die Augen. Ich bin der lebende Beweis. Ich bin hier. Abe möchte, dass alle Opfer schnell sterben. Aber wäre die Sache damit wirklich erledigt? Natürlich nicht. Die Geschichte bleibt so, wie sie passiert ist. Und ebenso die Verbrechen.
Im Friedensvertrag von San Francisco vom 28. April 1952 hatte Japan die Illegalität seines Kolonialkrieges eingestanden und so seine Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft erneuert. Und bevor Shinzo Abe an die Macht kam, hatte Japan seine Verantwortung für die Zwangsrekrutierung von Prostituierten und für seine Verbrechen während der Kolonialherrschaft bereits eingestanden. 1993 sagte Kabinettschafsekretär Yohei Kono, Japan habe Frauen mit Gewalt in die Prostitution des japanischen Militärs getrieben. Und 1995 entschuldigte sich der damalige Premierminister Tomiichi Murayama offiziell für Japans Kolonialherrschaft und die von japan ausgegangene Aggression. So gingen die Kono-Erklärung und die Murayama-Erklärung in die Geschichte ein. Die Abe-Regierung jedoch leugnet diese Tatsachen und verdreht historische Fakten. Auch Artikel 9 der pazifistischen Verfassung Japans soll revidiert werden. Artikel 9 der japanischen Verfassung verbietet dem Land kriegerische Aktivitäten und den Unterhalt von Streitkräften. Doch die Regierung Abe brachte am 16. Juli im Unterhaus Gesetzesentwürfe durch, die eine erweiterte Rolle des Militärs vorsehen. Abe spricht in diesem Zusammenhang von präventiven Maßnahmen. Falls das Oberhaus den Gesetzesentwurf im September annimmt, wäre es Japan erlaubt, einen militärischen Erstschlag auszuführen. Von einem pazifistischen Staat, wie ihn die Verfassung nach dem 2. Weltkrieg vorsah, könnte dann keine Rede mehr sein.
Tomiichi Murayama: Wir können keine Gewaltakte hinnehmen, indem wir Gesetze durchbringen, die allein der persönlichen Macht des Premiers dienen. Ich werde mein Leben riskieren, um die Verfassung zu schützen. Mit all meiner Kraft, solange ich lebe.
Der frühere Premier Tomiichi Murayama, von vielen als das lebendes Gewissen Japans bezeichnet ging am 23. Juli mit anderen Bürgern auf die Straße. Der 91-Jährige sagt, ein willkürliches Gesetz zur kollektiven Selbstverteidigung gegen den Willen der meisten Japaner sei unverzeihlich.
Am 20. Mai fand die 1179. Auflage der Mittwochsmärsche vor der japanischen Botschaft in Seoul statt, dieses Mal organisiert von der japanischen Bürgerrechtsbewegung „Verfassung Artikel 9 – für die Welt, für die Zukunft“. Kenichi Asano, einer der Leiter der Organisation erklärt laut:
Kenichi Asano: Das japanische Volk wird sich mit dem koreanischen Volk und all denen in Nordostasien verbünden, die unter der japanischen Kolonialherrschaft gelitten haben. Wir werden uns für den Geist der Kono Erklärung und der Murayama-Erklärung einsetzen, damit Japan friedlich innerhalb Asiens existieren kann und eine Lösung findet, die für alle Kriegsopfer annehmbar ist. Wir werden immer auf ihrer Seite stehen.
Am 22. Mai fand in Seoul die Asian Solidarity Conference zur Problematik der japanischen Sexsklaverei statt. Seit 1992 versucht man hier, eine Lösung für das fortbestehende Problem des Geschichtsverständnisses Nordostasiens zu finden und es kommen Augenzeugen zu Wort, so auch Fedencia David von den Philippinen, eine der ehemaligen Zwangsprostituierten der Japaner.
Fedencia David: Ich möchte, dass die ganze Welt weiß, dass uns nie Gerechtigkeit widerfahren ist. So viele Opfer sind gestorben, und auch sie haben nie Gerechtigkeit erlangt. Dies ist meine Botschaft. Natürlich muss die japanische Regierung zur Verantwortung gezogen werden, aber dafür ist auch internationale Unterstützung nötig.
Manchmal kann Kultur größeren Einfluss haben als politische Demonstrationen. Der Dokumentarfilm „Live with Memory, der Spielfilm „Spirits’ Homecoming” und auch das Musical „Comfort Women: A New Musical” sind Beispiele hierfür. Professor Dudden interessierte sich besonders für den Film „Spirits’ Homecoming”. Professor Dudden meint:
Professor Dudden: Dem Film gelingt es auf ganz hervorragende Weise, die tatsächliche Gewalt, die damals an den Mädchen verübt wurde, zum Ausdruck zu bringen. Das ist etwas, das die schriftlichen Dokumente niemals in dieser Weise vermitteln können.
Das Musical „Comfort Women” porträtiert ein koreanisches Mädchen, das von einem Japaner getäuscht wird. Er sagt, er gebe ihr die Möglichkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen. Doch dann landet sie in einem Soldatenbordell in Indonesien, bis ihr schließlich die Flucht gelingt. Zu Beginn dieses Jahres startete das Musical im “54 Below” in New York und war rasch ausverkauft. Wie konnte ein Musical mit dieser Thematik so erfolgreich sein? Regisseur Kim Hyun-jun erklärt:
Kim Hyun-jun: Es handelt sich ja hier nicht um ein Problem, das es nur vor 70 Jahren gegeben hätte. Sexuelle Sklaverei zu Kriegszeiten gab es im Laufe der Geschichte immer wieder. Dies ist nicht auf Korea beschränkt. Es handelt sich um allgemeine Geschichte der Menschheit. Viele Menschen begegnen diesem Problem mit Gleichgültigkeit, weil sie meinen, dies sei einfach nur eine Besonderheit der koreanischen Geschichte. Aber das stimmt nicht. Und es ist auch kein Phänomen der Vergangenheit. Manche der Opfer leben ja noch.
Das Musical, dem es überzeugend gelingt, die Thematik der Menschenrechte mit den Mitteln der Popularkultur zu verbinden, läuft nun noch bis zum 9. August in einem Theater in New York City.
Das Interesse am Schicksal der ehemaligen Zwangsprostituierten hat in den letzten Jahren zugenommen. In den USA ist dies vor allem der Arbeit der koreanischen Gemeinde und amerikanischer Politiker zu verdanken. Den Anfang jedoch, und das sollte man nicht vergessen, haben die mutigen Frauen gemacht, die damals selbst betroffen waren.
Am 8. Mai fand im Haus des Friedens, einer Unterkunft für Opfer der Zwangsprostitution während des Krieges, eine Feierstunde statt.
Junge Leute besuchen das haus und singen für die alten Frauen, als ob sie ihre eigenen Großmütter wären. Für einen Moment lang entsteht so etwas wie familiar Normalität. Kim Bok-dong, eine der alten Damen, meint:
Kim Bok-dong: Natürlich macht mich das glücklich. Ich habe ja keine Kinder, die mich besuchen könnten. Aber diese jungen Leute kommen zu uns und versuchen, unser Leid zu teilen. Das rührt mich zu Tränen. Ich finde keine Worte, um ihnen ausreichend zu danken.
Die Frauen sind einerseits Opfer des Krieges. Doch die Wahrnehmung hat sich geändert. Denn andererseits sind sie mittlerweile auch Kämpferinnen für die Menschenrechte und für den Frieden in der Welt. Im 24. Juni dieses Jahres spendete Kim Bok-dong 50 Millionen Won, als etwa 45000 US-Dollar zugunsten von weiblichen Kriegsopfern, die ähnliche Qualen durchgemacht haben wie sie selbst.
In dem Film „Spirits Homecoming” werden die Seelen der jungen Mädchen als Schmetterlinge dargestellt. Nun werden die Menschen jüngerer Generationen zu Schmetterlingen und fliegen den Mädchen von damals entgegen. Solange, bis deren Würde wiederhergestellt ist und solange bis die Menschen auf diesem Planeten es schaffen, in Frieden miteinander zu leben.
Kang Il-chul: Wenn ein Land seine Unabhängigkeit verliert, werden seine Bewohner nicht mehr menschlich behandelt. Wir sind sehr glücklich, dass die Generation nach uns so große Arbeit geleistet hat. Das kann man gar nicht in Worte fassen. Wir danken den jungen Leuten, dass sie so viel Positives leisten.
Kim Bok-dong: Wir hoffen von ganzen Herzen, dass Korea immer ein friedliches Land sein wird, so dass das, was wir durchmachen mussten, nie wieder geschehen kann. Und wir hoffen, dass unsere Nachkommen in Frieden und Wohlstand aufwachsen werden und anständige Staatsbürger werden, die unser Land stets schützen werden.